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Sommernachtsgespräch
Freitag, 25. Juli 2025

An diesem Sommerabend treffen wir uns am WeltTellerFeld. Heute widmen wir uns gemeinsam einem Thema von großer gesellschaftlicher Relevanz: der Vermeidung von Lebensmittelabfällen und Lebensmittelverschwendung.
Wie wir später noch erfahren werden, entsteht ein Großteil der Lebensmittelverschwendung bei den Konsument:innen im Haushalt – hier liegt somit ein großer Hebel für Veränderung.
Um das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten, sind drei Fachreferent:innen eingeladen:
· Alexandra Gruber, Geschäftsführerin der Tafel Österreich
· Dominik Heizmann, Experte für nachhaltige Ernährung beim WWF
· Martin Preineder, Landwirt vom Lilienhof in Niederösterreich
Das WeltTellerFeld-Team – Anna Krulis, Charlotte Kottusch und Theresa Ortbauer – gestaltet die Moderation, steuert eigene Impulse bei und Theresa wird eine interaktive Station betreuen. Wir versammeln uns unter einem großen Nussbaum zur Einstimmung und Begrüßung. Danach beginnen die Impulsvorträge mit spannenden Fakten und Zahlen:
· Wäre Lebensmittelverschwendung ein Land so würde sie, hinter China und den USA, den drittmeisten CO₂-Ausstoß verursachen.
· In Österreich landen jährlich 1 Million Tonnen Lebensmittel im Müll – das entspricht einem LKW-Stau von Wien bis Mailand.
· Ca. ein Drittel der weltweiten landwirtschaftlichen Fläche wird für Lebensmittel genutzt, die nie gegessen werden.
· In Österreich werden alle fünf Minuten rund 11 Tonnen Lebensmittel entsorgt – das ist das Gewicht des größten Elefanten auf der Welt.
Martin Preineder erläutert, warum in der Landwirtschaft viele Produkte gar nicht erst den Weg zum Verkauf finden: maschinelle Ernteschäden, nicht passende Größen, Wetterextreme, Schädlingsbefall oder strenge Sortiernormen im Lebensmitteleinzelhandel. Je enger die Vorgaben, desto mehr landet im Abfall – unabhängig von Qualität und Geschmack.
Alexandra Gruber von der Tafel Österreich betont, wie groß das Potenzial der Lebensmittelrettung ist. Allein durch die Arbeit der Tafel konnten bisher viele Millionen Mahlzeiten an Bedürftige verteilt werden.
Um einem möglichen Regenguss zu entgehen, wechseln wir nach dieser Einstimmung ins Thema vorsorglich den Ort und spazieren gemeinsam hinüber zur kleinen Stadtfarm.
Im Glashaus von Nikolai, umgeben von üppig wachsenden Kräutern, Tomaten, Gurken und anderen Gemüsepflanzen, sind bereits die interaktiven Stationen vorbereitet.
Bevor wir starten, stellt jede/r Referent:in seine/ihre Station kurz vor. Die Teilnehmer:innen erhalten Unterlagen zur Selbstreflexion, um Gedanken zum Thema Lebensmittelverschwendung in unterschiedlichen Dimensionen – persönlich, gesellschaftlich, beruflich und familiär – zu reflektieren.
Dann teilen wir uns in kleine Gruppen von je fünf Personen auf und tauchen ein in vier sehr unterschiedliche, aber ineinandergreifende Lernstationen.
1. Sensorik-Labor (Alexandra Gruber & Herta Hatzl, Tafel Österreich)
www.tafel-oesterreich.at
Hier finden wir drei unterschiedliche Joghurts vor – von frisch bis deutlich über dem Mindesthaltbarkeitsdatum. Unsere Aufgabe: verkosten und einschätzen, welches am frischesten und welches am ältesten ist. Schon nach wenigen Proben merken wir, wie täuschend der erste Eindruck sein kann. Oft wird ein älteres, mild schmeckendes Joghurt für das frischeste gehalten.
Wir sprechen darüber, wie man Lebensmittel mit allen Sinnen beurteilen kann – Sehen, Riechen, Schmecken – anstatt sich ausschließlich auf das Datum zu verlassen.
Außerdem gibt es wertvolle Kühlschrank-Tipps:
1) Oben ist es im Kühlschrank am wärmsten, daher gehören empfindliche/leicht verderbliche Lebensmittel wie Fleisch, Wurst, Fisch ganz nach unten (oberhalb von der Gemüselade).
2) Gemüse gehört in die Gemüselade, idealerweise in ein feuchtes Tuch gewickelt.
3) Nicht in den Kühlschrank: Bananen, Zitrusfrüchte, Erdäpfel, Zwiebeln – besser kühl, dunkel und trocken lagern.
4) Milchprodukte nicht in der Kühlschranktür aufbewahren – dort ist es zu warm.
2. Kartoffel-Sortierspiel (Martin Preineder, Landwirt)
www.lilienhof-lanzenkirchen.at
Vor uns stehen Kisten mit je 10 kg Erdäpfeln. Jede:r zieht ein Kuvert mit einer Rolle: „kritische:r Konsument:in“, „umweltbewusste:r Konsument:in“ oder „Qualitätskontrolle“.
Nun heißt es sortieren: Welche Erdäpfel bleiben, welche werden aussortiert?
· Kritische Konsument:innen sind am strengsten – bis zu 30 % werden entfernt, obwohl sie noch essbar wären.
· Qualitätskontrolle überrascht: Selbst aus Kisten, die der Landwirt als Abfall betrachtet, werden 60 % noch verwendet.
· Umweltbewusste Konsument:innen akzeptieren auch B-Ware, schneiden Schadstellen einfach weg und verwenden sie. Hier werden bis zu 100 % der von Martin Preineder aussortierten Ware noch genutzt.
Das Spiel macht anschaulich, wie sehr Wahrnehmung und Kaufentscheidungen variieren und wie sie den Weg eines Lebensmittels bestimmen können.
3. Ideenwerkstatt (Dominik Heizmann, WWF)
In dieser Station steht die Entwicklung konkreter Ideen im Mittelpunkt, um Lebensmittelabfälle in allen Sektoren– von der Produktion über den Handel und die Außer-Haus-Verpflegung bis zu den privaten Haushalten – zu reduzieren. Gleich zu Beginn wird deutlich, dass jährlich über 600.000 Tonnen Lebensmittelabfälle in den Haushalten anfallen. Dieser enorme Wert ist jedoch nicht allein auf das Verhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher zurückzuführen, sondern das Resultat von Strukturen und Prozessen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Marketing- und Werbemaßnahmen wie „Nimm zwei, zahl drei“ oder übergroße Verpackungseinheiten führen häufig dazu, dass mehr gekauft wird, als tatsächlich benötigt wird, was letztlich im Müll landet. Es ist daher nicht zielführend, die Verantwortung ausschließlich den Konsumentinnen und Konsumenten zuzuschieben.
Die Bekämpfung von Lebensmittelverschwendung benötigt also die Zusammenarbeit aller Beteiligten entlang der Kette. Auch Bildung spielt eine zentrale Rolle: Besseres Kochen, mehr Wissen über Lagerung und Haltbarkeit sowie eine stärkere Einbindung des Themas in Schulen können langfristig helfen, Abfälle zu reduzieren. Ergänzend dazu werden Ansätze wie eine bessere Vermarktung von B-Ware, eine stärkere Direktvermarktung sowie die Entwicklung neuer Produkte aus Reststoffen – zum Beispiel Tierfutter aus Schlachtresten – diskutiert.
4. WeltTellerFeld-Station (Theresa Ortbauer, WeltTellerFeld)
Wir sprechen über die SDGs– die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen. Eines davon fordert, die weltweite Lebensmittelverschwendung bis 2030 pro Kopf auf Einzelhandels- und Verbraucherebene zu halbieren.
Die EU hat sich auf ein Zwischenziel geeinigt: minus 30 % bis 2030 im Bereich Handel, Gastronomie und Haushalte.
Theresa erklärt außerdem das Schweizer System der Umweltbelastungspunkte (UBP): Es bewertet Produkte anhand ihrer gesamten Umweltwirkung – vom Rohstoff über die Verarbeitung bis zur Entsorgung. Je höher die Punktezahl, desto stärker die Umweltbelastung.
In einer Schätzaufgabe ordnen wir Lebensmittel nach ihrer Umweltbelastung. Viele denken, Erdbeeren, die per Flugzeug importiert werden, hätten den größten Impact – tatsächlich hat in diesem Fall regionales Schweinefleisch die höhere Umweltbelastungszahl.
Wir wiederholen: Weltweit werden jährlich rund 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel verschwendet – etwa ein Drittel aller produzierten Lebensmittel. Die ökologischen Folgen sind enorm: Wasserverschwendung, Verlust von Biodiversität und Lebensräumen, Flächenverbrauch, und erhebliche Treibhausgasemissionen.
Auch wirtschaftlich ist der Verlust groß: Für Privathaushalte bedeutet Lebensmittelverschwendung oft unnötige Kosten von bis zu 800 Euro pro Jahr.
Nach allen Stationen wartet ein Buffet mit Sommerspritzer, Pilzaufstrich, Pita, frischen Kräutern und Salaten. Auch in der Pause werden Erdäpfel gewogen, sortiert und es wird weiter diskutiert.
In der gemeinsamen Abschlussrunde wird noch einmal deutlich: Lebensmittelverschwendung ist zwar in den Medien präsent, doch der heutige Stationenbetrieb eröffnet neue Perspektiven und ein tieferes Verständnis. Der/die „kritische Konsument:in“ erweist sich als streng in der Lebensmittelbewertung, oft sogar zu streng. Wertschätzung für Lebensmittel muss wieder selbstverständlicher werden. Eine Reduktion tierischer Produkte könnte dabei einen Beitrag leisten.
Bildung, besonders bei Kindern, spielt eine zentrale Rolle, da sie auch das Verhalten ihrer Familien beeinflussen. Zudem sind Zahlen und Daten von Handel und Konzernen wichtig, um das Ausmaß der Verschwendung sichtbar zu machen und gezielt gegenzusteuern. Italien wird als positives Beispiel genannt, denn dort ist die Lebensmittelverschwendung geringer – unter anderem, weil gesetzliche Rahmenbedingungen das Weitergeben von gekochten Speisen aus der Gastronomie erlauben.
Mit der Dämmerung endet ein intensiver, lehrreicher Abend. Wir gehen mit vielen neuen Erkenntnissen, praktischen Ideen – und dem Gedanken, dass Veränderung möglich ist, wenn alle Beteiligten zusammenarbeiten - zufrieden nach Hause
WeltTellerFeld
Schilfweg 20
1220 Wien
Fotos: ÖKL, M.Koliha